Von Weizen, Käse und Kohle
Crespel & Deiters im 1. Weltkrieg …

Er beginnt mit der Gewalt gegen Einen und endet mit dem Tod von Millionen – der 1. Weltkrieg erschüttert Europa Anfang des 20. Jahrhunderts in seinen Grundfesten und verändert die Welt für immer. Als der österreichisch-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz-Ferdinand mit seiner Frau Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajewo von einem bosnisch-serbischen Attentäter erschossen wird, kommen die schwelenden Konflikte der Großmächte zur Eskalation. Der Anschlag von Sarajewo stellt lediglich den Funken dar, der das Gemisch aus aufgestauten Ängsten und Befürchtungen, ausgelöst durch die damalige deutsche Expansionspolitik, zur Explosion bringt. Zu diesem Zeitpunkt geht das Leben im westfälischen Städtchen Ibbenbüren seinen gewohnten Gang. Noch ahnt man nicht, dass sich die Weichen der Geschichte unabänderlich auf Krieg stellen, der vier Jahre lang den Kontinent verwüsten und unzählige Opfer fordern wird.

Der Krieg beginnt

 Gefangennahme des Attentäters Gavrilo Prinzep nach dem Attentat auf Erzherzog Franz-Ferdinand in Sarajewo 1914

Gefangennahme des Attentäters Gavrilo Prinzep nach dem Attentat auf Erzherzog Franz-Ferdinand in Sarajewo 1914

Zu dieser Zeit ist Westfalen – auch durch die Entwicklungs- und Produktionsleistung von Crespel & Deiters – zum Zentrum der modernen industriellen Weizenstärkeproduktion geworden. Hugo und Gustav Deiters führen seit 1909 die Geschicke des Ibbenbürener Weizenstärkeunternehmens. Die Geschäfte laufen gut. Gerade erst haben die beiden Unternehmer ihr Transportwesen durch einen der ersten LKW der deutschen Stärkeindustrie modernisiert. Da erklärt Österreich Serbien als direkte Reaktion auf die Ermordung seines Thronfolgers den Krieg. Als Verbündeter Österreichs tritt auch Deutschland unmittelbar in das Kriegsgeschehen ein. In unheilvoller Allianz paktieren in Folge verschiedene Verbündete miteinander: Russland springt Serbien zur Seite, Frankreich wiederum steht Russland bei, auch Großbritannien ist Teil dieses Bündnisses. Doch dies ist erst der Anfang. Im weiteren Verlauf kommen noch so viele Länder dazu, sodass es am Ende scheint, als führe jeder gegen jeden Krieg.

Pragmatismus auf dem Land

Jubel in Berlin beim Ausrücken der Garde im August 1914.

Jubel in Berlin beim Ausrücken der Garde im August 1914.

Auf dem Land kümmert man sich derweil um das Einbringen der Ernte – der Krieg scheint hier noch weit weg.

Auf dem Land kümmert man sich derweil um das Einbringen der Ernte – der Krieg scheint hier noch weit weg.

In den Städten jubeln die Menschen bei Kriegseintritt patriotisch auf den Gehsteigen. Auf dem Land ist die Begeisterung weit zurückhaltender. Nun neigt der Westfale schon an sich nicht unbedingt zu überschwänglich emotionalen Ausbrüchen. Doch bei den Ibbenbürenern schwingt auch noch eine große Portion Pragmatismus mit. Man lebt hier auf dem Land und von dem Land. Im August hat man alle Hände voll zu tun, die Weizenernte einzubringen. Hier hat keiner Zeit, in den Krieg zu ziehen. Doch Deutschland macht mobil und die Männer müssen an die Front. Auch die Angestellten von Crespel & Deiters, einschließlich der beiden Geschäftsführer, leisten ihren Dienst fürs Vaterland. An der Heimatfront übernehmen fortan zum großen Teil die Frauen Arbeit und Regiment.

Das Regiment der Frauen

Luise Deiters, Ehefrau von Gustav Deiters

Luise Deiters, Ehefrau von Gustav Deiters

Maria Deiters, genannt Mieke, Ehefrau von Hugo Deiters

Maria Deiters, genannt Mieke, Ehefrau von Hugo Deiters

Es sind Luise und Maria, die Ehefrauen von Hugo und Gustav Deiters, die in den Kriegsjahren die Geschicke des Unternehmens als Prokuristinnen leiten. Mit tatkräftiger Unterstützung ihrer verbliebenen Angestellten schaffen sie es, Crespel & Deiters durch die Wirren des Krieges zu schiffen. Und das ist gar nicht so einfach. Denn es zeigt sich recht schnell, dass das Deutsche Reich alles andere als vorbereitet auf einen langen Krieg ist.

Durch den Mangel an Arbeitskräften und Ressourcen brechen die deutschen Produktionen ein. Crespel & Deiters muss seine Herstellung von Weizenstärke bereits in den ersten Kriegsmonaten komplett einstellen. Es fehlt vor allem am Grundstoff. Heute ist Deutschland der siebtgrößte Weizenproduzent der Welt. In weiten Teilen des Landes prägen Weizenfelder das Bild. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts ist Deutschland in großem Maße von Weizenimporten abhängig. Schon vor dem Krieg hält die Versorgungslage kaum Schritt mit der Zunahme der Bevölkerung. Mit Beginn des 1. Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Handelsschifffahrt verschlimmert sich die Lage weiter.

Von Weizenstärke zu fettfreiem Käse

Da es im eigenen Land nicht genug Weizen für Mensch und Tier gibt, ist Kreativität gefragt, um die Versorgungslage in den Griff zu bekommen. Crespel & Deiters stellt sich der veränderten Lage und entwickelt Vieh-Ersatzfuttermittel. Für die Menschen wird fettfreier Käse produziert. Außerdem bedient das Unternehmen mit Glaserkitt, Farben und Leim andere Produktionen der deutschen Wirtschaft. Zumindest schafft es Crespel & Deiters so, die Produktion in kleinem Stil am Laufen zu halten und den verbleibenden Angestellten als auch den Familien der Mitarbeiter an der Front ein monatliches Salair zu zahlen.

Die Ibbenbürener sind da

Für die Männer, die unter Hauptmann Gustav Deiters in Frankreich kämpfen, gibt es 1914 ganz besondere Hilfe aus dem heimatlichen Westfalen. Während eines Marsches von Reims zum Bourlon-Wald realisiert Deiters den erbärmlichen Zustand seiner Truppe. Es fehlt an frischer Kleidung, Essen, Trinken, Zigaretten – an allem, was es den Soldaten ein wenig erträglicher macht. Deiters telegrafiert in die heimische Firma und bittet um das Nötigste. Die treuen Mitarbeiter wachsen über sich hinaus und sammeln 6000 Mark. Das waren damals noch Goldmark. Aus den Erinnerungen von Gustav Deiters ist Folgendes überliefert:

„Die Batterie hatte Stellung bezogen an der Vimy-Höhe. Ich saß abends mit einigen Herren in einer Doppelkopfrunde, als plötzlich mein Leutnant – übrigens disziplinwidrig – hereinstürmte und rief: ‚Herr Hauptmann, die Ibbenbürener sind da!’ Was heißt das, wieso die Ibbenbürener? Da ging auch schon die Tür auf und herein kamen Kollegen aus der Weizenstärkefabrik. Sie hatten drei LKW voller Gaben aus der Heimat dabei. Unser Erstaunen war mindestens so groß wie unsere Freude.“

Ende und Neuanfang

Im 1. Weltkrieg wurde an zu vielen Fronten gekämpft und er endete mit der Kapitulation Deutschlands.

Im 1. Weltkrieg wurde an zu vielen Fronten gekämpft und er endete mit der Kapitulation Deutschlands.

Vier Jahre nach Kriegseintritt kapituliert das Deutsche Reich. Die Friedensverhandlungen beginnen und am 11. November 1918 ist der Krieg vorbei. Millionen Verletzte, Traumatisierte und Tote sind das traurige Resultat der Kämpfe. Deutschland ist zu dieser Zeit noch weit von geordneten Verhältnissen entfernt. Auch die Wirtschaft kommt nur schwer in Gang. Während des Krieges hat die Regierung die Spar- und Notwirtschaft eingeführt. Die direkte Folge war eine staatliche Zwangsbewirtschaftung der kriegswichtigen Produktionen. Der massive Eingriff des Staates in die Betriebe setzte eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang. Die wirtschaftlich versierten Unternehmer verloren die Entscheidungsgewalt im eigenen Betrieb. Ab jetzt verfügten Bürokraten über das Geschick der Unternehmen. Mit fatalen Folgen. Die Kriegswirtschaftspolitik sah nämlich keine Investitionen in die Betriebe vor und damit auch keine Entwicklung. Vielmehr wurden Produktionsstätten, Ressourcen und Mitarbeiter en masse „verbraucht“. Es kam wie es kommen musste: die deutsche Wirtschaft brach zusammen. Auch mit Ende des Krieges ist diese staatliche Kontrolle nicht vorbei. Für Crespel & Deiters bedeutet dies weiterhin keine Möglichkeit, den Müllereibetrieb des Unternehmens unter eigener Regie wieder aufzunehmen. Auch die Weizenstärkeproduktion liegt weiterhin still, da es kaum Rohstoffe gibt. Zusätzlich erschweren die instabilen politischen Verhältnisse im Land eine Wiederkehr zur Normalität.

Vom Weizen zum Tuch

Um den Betrieb aufrecht zu erhalten und den Kriegsheimkehrern ihren Broterwerb zu ermöglichen, arbeitet Crespel & Deiters zwischenzeitlich mit dem landwirtschaftlichen Gutsbesitz. Außerdem wird eine Webwarenfabrik gegründet. Da es zur Produktion keine Rohstoffe gibt, konzentriert sich das Unternehmen zu dieser Zeit auf den Handel mit Kleiderstoffen, Druckwaren, Leinen- und Dekorationsstoffen.

Neue Chancen unter Tage

Arbeit in der Crespel & Deiters Steinkohlegrube „Mieke“

Arbeit in der Crespel & Deiters Steinkohlegrube „Mieke“

1921 pachtet der inzwischen heimgekehrte Hugo Deiters vom preußischen Bergfiskus die nach Maria Deiters benannte Steinkohlegrube „Mieke“ und steigt in den Bergbau ein. Die Kommanditgesellschaft fördert Steinkohle. Deiters verdient an dieser Unternehmung nichts, da er alle Gewinne an die Kommandisten auszahlt. So unterstützt er Freunde und Angehörige der Familie, die zu dieser Zeit in sehr beschränkten Verhältnissen leben.

In Notzeiten zusammenzuhalten, Verantwortung für die Seinen zu übernehmen – ob Familie, Freunde, Umfeld oder Angestellte – ist ein Grundsatz des Familienunternehmens Crespel & Deiters bis heute.

Zurück zu den Wurzeln

Derweil schreitet die Inflation unaufhörlich fort. Die desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse gipfeln 1923 in der Währungsreform. Wieder einmal steht alles auf Null und der Familienbetrieb muss, wie alle Deutschen damals, neu anfangen. Mit der Rentenmark gibt es endlich wieder eine stabile Währung, mit der Crespel & Deiters ab 1924 die Weizenstärkefabrikation erneut aufnehmen kann und so den Boden für seine Entwicklung zu einem der führenden Spezialisten für weizenbasierte Produkte und Lösungen in Europa bereitet.

Gehaltszahlungen bei Crespel & Deiters während der Inflation

Gehaltszahlungen bei Crespel & Deiters während der Inflation

Crespel & Deiters früher und heute

Crespel & Deiters früher …

Crespel & Deiters früher und heute

… und Crespel & Deiters heute