Wie der Phönix aus der Asche
Der große Brand bei Crespel & Deiters …

Die Flammen lodern bereits vernichtend hoch in den wolkenverhangenen Nachmittagshimmel des 14. Januars 1891 als die Männer der Freiwilligen Feuerwehr Ibbenbüren auf dem Gelände der Crespel & Deiters Weizenstärkefabrik eintreffen. Das Feuer war kurz zuvor im Inneren der Fabrik ausgebrochen und hatte sich schnell auf das gesamte Areal ausgebreitet. Die Mitarbeiter und die Geschäftsführung – alle zu dem Zeitpunkt mitten in der Arbeit – hatten sich gerade noch in Sicherheit bringen können. Nun stehen sie draußen vor den Gebäuden und starren fassungslos auf das flammende Inferno, das im Begriff ist ihre berufliche Existenz zu vernichten.

Löschequipment der Feuerwehr um 1890

Löschequipment der Feuerwehr um 1890

Alles verloren im Feuer

1891 ist Crespel & Deiters, 33 Jahre nach Firmengründung, stabil auf Erfolgskurs. Das Unternehmen hat sich zu einer festen Größe im Stärkemarkt etabliert. Mit über 20 Beschäftigten ist Crespel & Deiters auch zu einem wichtigen Arbeitgeber in der Region rund um das westfälische Städtchen Ibbenbüren geworden. Die Geschäfte laufen gut und man schaut optimistisch in die Zukunft. Da verändert ein Nachmittag im Winter 1891 von einer Minute zur anderen alles: Ein Feuer bricht aus und zerstört die gesamte Fabrik mit allen Maschinen.

Heute werden Fabriken und Industrieanlagen durch umfassende stationäre Brandschutzmaßnahmen geschützt. Und die Feuerwehren sind modern und effektiv ausgestattet. Die Feuerwehren Ende des 19. Jahrhunderts verfügen nur über wenige Brandspritzen, die gegen industrielle Großbrände nicht viel ausrichten können. Die Männer der Freiwilligen Feuerwehr aus Ibbenbüren kämpfen an diesem Nachmittag unermüdlich mit allem, was sie haben gegen das Flammenmeer. Und doch dauert es trotz größtem Einsatz aller Beteiligten mehrere Tage bis das Feuer endgültig gelöscht ist. Übrig bleibt nichts als Rauch und Asche.

Die Freiwillige Feuerwehr Ibbenbüren Ende des 19. Jahrhunderts

Die Freiwillige Feuerwehr Ibbenbüren Ende des 19. Jahrhunderts

Was den Brand letztendlich ausgelöst hat, wird nie geklärt. Brände in Stärkefabriken sind zu jener Zeit keine Seltenheit. Staubwolken, die während der Verarbeitung der Rohstoffe entstehen, können gefährlich werden. Die heiße Luft bei der Trocknung kann sich entzünden. Und vor allem der Dampfkessel, der zum Antrieb von Mühle und verschiedenen Maschinen benötigt wird, ist anfällig für Explosionen. Was auch immer der Grund für den großen Brand bei Crespel & Deiters war, Fakt ist, dass die Fabrik bis auf die Grundmauern niederbrannte. Besitzer und Mitarbeiter stehen über Nacht vor dem Nichts und verlieren ihre Arbeitsgrundlage.

Das Ende ist nur der Anfang

Es liegt in der Natur des Unternehmers, vernichtende Ereignisse nicht als Niederlage zu begreifen, sondern vielmehr als Chance für einen Neuanfang zu nutzen. Das Ende des Alten ist der Beginn des Neuen. Josef Deiters, Schwiegersohn des Firmengründers Alexander Crespel, beweist in dieser schweren Zeit einmal mehr seine Qualitäten als Firmenchef und Patriarch. Innerhalb nur eines Jahres baut er die Crespel & Deiters Weizenstärkefabrik wieder auf – größer und leistungsfähiger als zuvor.

Der Neubau beginnt

Pläne und Zeichnungen der neuen Stärkefabrik nach dem großen Brand

Pläne und Zeichnungen der neuen Stärkefabrik nach dem großen Brand

Die Ländereien auf denen die alte Stärkefabrik gestanden hatte waren damals noch in adeligem Besitz. Das gedenkt Josef Deiters zu ändern und kauft sie dem Prinzen Carl von Arenberg zu Brüssel als ersten Schritt seiner Neubaupläne ab. Im Gegenzug übernimmt die Familie des Prinzen den landwirtschaftlichen Betrieb auf dem 1,4 Hektar großen Areal und gewährt der Firma ein großzügiges Darlehen. Mit diesem Geschäftsmodell des gegenseitigen Vorteils steht Crespel & Deiters nun genug Kapital zum Neubau und Ausbau der Fabrikanlage zur Verfügung. Die Zinsen begleicht das Unternehmen in Naturalien. Indem es mit dem, bei der Stärkeproduktion anfallenden, Sauerwasser die Wiesen rund um die Fabrik berieselt, wird aus dem ursprünglich mageren Sandboden ertragreiches Ackerland.

Auszug aus dem Protokoll zum Festakt der Grundsteinlegung am 4. Juli 1891 nach dem großen Brand.

Auszug aus dem Protokoll zum Festakt der Grundsteinlegung am 4. Juli 1891 nach dem großen Brand.

Konstruktionsbilder der neuen Waschtrommeln zur Abscheidung der Weizenstärke aus den Hülsen.

Konstruktionsbilder der neuen Waschtrommeln zur Abscheidung der Weizenstärke aus den Hülsen.

Luise Deiters (1835–1909)

Luise Deiters (1835–1909)

Am 4. Juli 1891 wird im Beisein der Mitarbeiter, der Familie und der Honoratioren der Gemeinde der Grundstein für die neue Fabrik gelegt. Luise Deiters, die zweite Frau des Patriarchen fasst diesen unternehmensgeschichtsträchtigen Augenblick in emotionale Worte: „Mögen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in diesem Werke für alle Zeiten in gleicher fester Einigkeit verbunden sein, wie sich dieser erste Stein mit dem ersten Mörtel verbindet.“

Neuer Kurs in Richtung Zukunft

Die neu aufgebaute Weizenstärkefabrik anno 1892.

Die neu aufgebaute Weizenstärkefabrik anno 1892.

So entsteht mit viel Unternehmergeist und Tatkraft aus der scheinbaren Katastrophe das moderne Unternehmen Crespel & Deiters. Denn der Neubau läutet den Beginn der weiteren technischen Entwicklung des Unternehmens ein. Alle Anlagen werden modernisiert. Jahr für Jahr werden Fabrikation und Gebäude weiter ausgebaut. Der kontinuierliche Ausbau der Betriebsanlagen basiert auf einer konsequenten Qualitätsstrategie. Die Versorgung mit Frischwasser und die Aufbereitung des Abwassers werden optimiert. Neue Dampfkessel, Schornsteinanlagen und Waschtrommeln werden entwickelt und installiert, die Kleberei erweitert. Und auch die Sicherheitsstandards zur Verhütung von Unfällen und Bränden werden deutlich erhöht. Das alles macht Crespel & Deiters schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer modernen und wettbewerbsfähigen Stärkefabrik. Bis heute.