Neue Stärke im Osten
Crespel & Deiters in Dresden …

Gustav Deiters ringt nach Fassung, als er 1990, 52 Jahre nach dem Kauf der Klopfer Nährmittelfabrik und dem Ausbau des Werkes zur sächsischen Dependance seines Familienunternehmens, über das Gelände der ehemaligen Crespel & Deiters Fabrik in Dresden blickt. Es ist nicht viel übriggeblieben von der einst modernsten Stärkefabrik Europas. Dort, wo früher auf Hochtouren Weizenstärkespezialitäten und das berühmte Weizenin produziert wurden, haben 38 Jahre VEB-Bewirtschaftung ihre Spuren hinterlassen. Der Boden ist durch giftige Abwässer verseucht, die Gebäude sind in einem desolaten Zustand der Vernachlässigung. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen …

Der Weg nach Osten

1938 kauft Crespel & Deiters die leerstehende Fabrikation des Lebensreformers Dr. Volkmar Klopfer in Dresden. Der überzeugte Vegetarier hatte hier über viele Jahre nahrhaftes Brot, fleischersetzende Nudeln und nähstoffreiche Proteinprodukte hergestellt. Wahrscheinlich war er seiner Zeit zu weit voraus. Denn so visionär seine Produkte waren, so schwierig gestalteten sich die Bilanzen seines Unternehmens. Um einen Konkurs zu verhindern, wurde die Firma des naturnah und sozial agierenden Klopfers 1936 liquidiert. Zwei Jahre später erwirbt Crespel & Deiters das Gelände.

Schon länger spielt der Ibbenbürener Weizenstärkespezialist mit dem Gedanken, seine Produktion in den Osten Deutschlands auszuweiten, um die mittel- und ostdeutschen Gebiete besser versorgen zu können. Zu diesem Zweck pachtet Crespel & Deiters bereits 1929 eine Weizenstärkefabrik im niedersächsischen Braunschweig. Geplant ist, das Werk als Produktionsstätte für einen erfolgreichen Marktgang des im gleichen Jahr als Markenartikel eingetragenen Weizenins zu entwickeln.

Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten eines technischen Ausbaus in Braunschweig und der Notwendigkeit größere Investitionen tätigen zu müssen, fasst das Unternehmen allerdings den Beschluss, das Braunschweiger Werk zu schließen und nach einer Alternative zu schauen. Crespel & Deiters findet im Dresdner Werk eine gute Basis zur weiteren Expansion.

Frischer Wind an der Elbe

1938: Das Fabrikgebäude vor dem Ausbau zur modernsten Stärkefabrik Europas

1938: Das Fabrikgebäude vor dem Ausbau zur modernsten Stärkefabrik Europas

Sofort wird mit der Modernisierung des Werks begonnen. Die Betriebsanlagen werden technisch ausgebaut. Zu den bereits bestehenden zwei Gebäuden werden noch vier weitere gebaut. Crespel & Deiters Dresden verfügt nun über eine komplette Mühlenanlage, ein Silo, eine Trocknerei und eine Mehlmischerei. Ein zweites Gebäude beherbergt die Kraftzentrale mit einer Kesselanlage und einer Dampfmaschine. Außerdem sind noch eine Laboranlage, eine Bäckerei und ein Teigwarenwerk in der neuen Fabrik untergebracht.

Nach Beendigung der Bauarbeiten präsentiert sich das Werk als das modernste seiner Art zu dieser Zeit. Crespel & Deiters legt hiermit den Grundstock für 14 Jahre erfolgreiche Produktion bewährter und neuer weizenbasierter Produkte in Dresden.

Renovierte Innenräume und ein modernisierter Maschinenpark

Renovierte Innenräume …

Renovierte Innenräume und ein modernisierter Maschinenpark

… und ein modernisierter Maschinenpark

Crespel & Deiters in aller Munde

In Dresden produziert Crespel & Deiters fortan Weizenstärkeprodukte für die Lebensmittelindustrie. Früh erkennt das Unternehmen den hohen physiologischen Wert von Weizenproteinen und bereitet sie im Labor auf. Vor allem Hersteller von Suppen und Suppenwürze nutzen den so entstehenden Weizensüßkleber für einen besseren Geschmack ihrer Produkte.

Alte Produktpackung Weizenin

Mit Weizenin produziert Crespel & Deiters auch ein eigenes Markenprodukt für den Endkunden. Der reine Weizenstärkepuder sorgt für gutes Gelingen und perfekte Konsistenz von Kuchen, Torten, Nachspeisen, Soßen und Suppen. Geschäfte, Bäckereien und Hersteller von Babynahrung in ganz Deutschland beziehen ihren Weizenstärkepuder aus Dresden. Es ist dieses Erfolgsprodukt von Crespel & Deiters, das später im „VEB Weizenin“ weitergeführt und der staatlichen DDR-Fabrikation ihren Namen geben wird.

Wider den Kapitalismus

1945 endet der 2. Weltkrieg. Dresden und damit auch die Fabrik von Crespel & Deiters befinden sich nun auf russisch-besetztem Gebiet. Noch hat das wenig Auswirkung auf die Produktion. Bis Anfang der Fünfziger Jahre läuft das Dresdner Werk unverändert weiter. Doch mit der Gründung der DDR verändert sich der Alltag in der russisch-besetzten Zone dramatisch. Die neue Regierung in Ost-Berlin sagt dem Kapitalismus und damit auch den ansässigen Unternehmern den Kampf an. Volkseigen sollen die Betriebe werden. Die Enteignung privater Firmen beginnt.

Enteignung und Verhaftung

1952 wird Crespel & Deiters Dresden enteignet. Die Fabrik, ihre Anlagen und das Gelände gehen entschädigungslos in das Eigentum der Deutschen Demokratischen Republik über. Dabei bedient sich das neue Regime eines juristischen Kniffs. Während und nach dem Krieg waren viele Materialien knapp. Damit der Betrieb aufrechterhalten werden konnte, wurde getauscht. Juristisch hieß das „Kompensation“. Die war zwar nicht statthaft, aber für die Produktionen vielfach notwendig. Der Vorwurf der Kompensation gibt dem neuen Staat nun die Handhabe zur Enteignung der Firmen.

Auch Crespel & Deiters bezichtigt man der Kompensation. In Folge wird der Betriebsdirektor des Dresdner Werks verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus in Bautzen verurteilt. Zum Glück kommt er nach zweieinhalb Jahren wieder frei, was er dem unergründlichen Lauf des Schicksals zu verdanken hat. Als Soldat hatte er während des Krieges im Strafbataillon 999 gedient. Dort rettete er einem Gefangenen das Leben. Dieser arbeitete später in der Dresdner Fabrik von Crespel & Deiters. Als unter den Nazis verhafteter Kommunist gewann er nach der russischen Besetzung einiges an Einfluss, den er dazu nutzte, seinen damaligen Retter freizubekommen. Nach seiner Entlassung aus Bautzen geht der ehemalige Betriebsdirektor des Dresdner Werks in den Westen, wo ihn Crespel & Deiters beim Aufbau einer neuen Existenz tatkräftig unterstützt.

Die Wende und das Ende

Weizenin wird ein Verkaufsschlager im Osten. Im VEB Weizenin, der früheren Fabrik von Crespel & Deiters in Dresden, wird der innovative Weizensüßkleber volkseigen weiterproduziert und avanciert zum typischen DDR-Produkt. Noch heute ist Weizenin, das mittlerweile von Unilever hergestellt wird, in Ostalgie-Läden heiß begehrt. 1990 mit der Wiedervereinigung endet auch die Planwirtschaft im Osten Deutschlands. Viele enteigneten Betriebe werden den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben. Auch Crespel & Deiters macht sich auf den Weg gen Osten zum ehemaligen Dresdner Werk. Das, was der Ibbenbürender Weizenstärkespezialist vorfindet, macht wenig Hoffnung auf eine neue Produktionsära in Dresden. Zu desolat sind die technischen, ökologischen und finanziellen Strukturen des VEB Weizenin. Der jahrzehntelange Raubbau an den Anlagen und der umliegenden Natur fordert ihren Tribut. Das Unternehmen ist nicht weiterführbar. Crespel & Deiters entscheidet sich gegen eine Rücknahme des Betriebs. Das Gelände und die Gebäude, die heute teilweise unter Denkmalschutz stehen, werden durch die Berliner Treuhandanstalt an den Lebensmittelhersteller Zamek und den Mineralölkonzern Aral veräußert. Allein Weizenin, die Erfindung von Crespel & Deiters lebt bis heute in den neuen Bundesländern fort.