Von Ibbenbüren auf jeden deutschen Tisch
Der Siegeszug von Weizenin …

Anfang 1928 ist das Deutsche Reich auf dem Höhepunkt seiner kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Blüte. Trotz der Hyperinflation und des Hitler-Ludendorff-Putsches 1923 scheint die erste deutsche Demokratie noch stabil. Deutschland befindet sich in den Goldenen Zwanzigern. Es ist das Land von Thomas Mann, Richard Strauss, Emil Nolde, Albert Einstein, Graf Zeppelin oder Walter Gropius, die auf ihren Gebieten zu dieser Zeit Großes hervorbringen. Die Wirtschaft befindet sich in stetigem Aufschwung. Noch weiß man nichts von dem Geschehen in Amerika, das bald die ganze Welt in eine tiefe Krise stürzen wird. Auch in Ibbenbüren läuft die Produktion des Weizenspezialisten Crespel & Deiters auf Hochtouren. In den Laboratorien des ortsansässigen Unternehmens sind viele kluge Köpfe mit der Entwicklung neuer weizenbasierter Produkte beschäftigt. Ein großes Ziel ist es dabei, den Frauen ihren Alltag in der Küche zu erleichtern. Viele von ihnen arbeiten tagsüber in den Fabriken und müssen abends Mann und Kinder versorgen. Aber auch die Hausfrauen haben zur damaligen Zeit, ohne die modernen Hilfsmittel von heute, viel zu tun. Crespel & Deiters will etwas erfinden, das die Zubereitung von Speisen schneller und einfacher macht. Das ist die Geburtsstunde des ersten Weizenstärkepuders für die Lebensmittelindustrie aus Deutschland: Weizenin.

Kein Rezept ohne Weizenin

Alte Produktpackung Weizenin

Alte Produktpackung Weizenin

Mit der Erfindung von Weizenin bringt Crespel & Deiters 1928 sein erstes eigenes Markenprodukt im Endverbrauchersegment auf den Markt. Der reine Weizenstärkepuder stößt auf helle Begeisterung bei Deutschlands Frauen. Mit ihm wird das Kochen, Backen und Binden ein Kinderspiel. Kuchen und Torten gelingen besser mit Weizenin. Der Nachtisch ist schnell gezaubert, wenn der Weizenstärkepuder bei Roter Grütze, Pudding und Kirschkaltschalen zum Einsatz kommt. Soßen und Suppen werden sämig ohne zu klumpen. Selbst Säuglingsnahrung wird ab dato mit Weizenin hergestellt. In vielen Backrezepten findet sich übrigens bis heute Weizenin als Zutat.

Weizenin auf Expansionskurs

Mit der Schaffung des Markenartikels Weizenin im Jahre 1928 stellt Crespel & Deiters wichtige unternehmensstrategische Weichen. Das eingetragene Warenzeichen eröffnet dem Unternehmen neue Marktsegmente in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Die Einführung des neuen Weizenstärkepuders wird von einer für die damalige Zeit innovativen Anzeigenwerbung begleitet. Später, in den 50er Jahren dreht Crespel & Deiters sogar Werbespots, die im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden.

Bald führt die neue Erfindung das Unternehmen zu weiteren Expansionen über den Standort Ibbenbüren hinaus. Um die gesteigerte Nachfrage bedienen, beziehungsweise auch die ost-und mitteldeutschen Gebiete besser versorgen zu können, wird 1938 eine Fabrikanlage in Dresden gekauft und zur modernsten Stärkefabrik Europas ausgebaut. Hier produziert Crespel & Deiters ab 1938 Weizenin und beliefert damit Geschäfte und Bäckereien in ganz Deutschland.

Weizenin-Werbemotiv von 1950.

Weizenin-Werbemotiv von 1950.

Moderner Maschinenpark im Crespel & Deiters Werk in Dresden, 1938

Moderner Maschinenpark im Crespel & Deiters Werk in Dresden, 1938

Das Weizenin des Ostens

Übergangspackung und DDR-Produktpackung Weizenin

Übergangspackung und DDR-Produktpackung Weizenin

Die Expansion in den Osten des Landes wird dem Ibbenbürener Unternehmen – wie vielen Firmen – nach dem 2. Weltkrieg zum Verhängnis. Befindet sich die Fabrik in Dresden nach 1945 doch nun auf russisch-besetztem Gebiet. Bis Anfang der 50er Jahre kann Crespel & Deiters sein Weizenin noch unter eigenem Namen produzieren. Im Zuge der letzten Verstaatlichungswelle der jungen Deutschen Demokratischen Republik werden aber die Vermögenswerte der Dresdner Stärkefabrik „Crespel & Deiters Werk Dresden“, nach dem Urteil des Landgerichtes Dresden vom 8. April 1952, enteignet und der Betrieb in Volkseigentum überführt. Die Ära des ursprünglichen Produkts aus Ibbenbüren endet hier – der Siegeszug von Weizenin als DDR-Produkt beginnt.

Heute wird Weizenin von Unilever hergestellt und bei Marktkauf, Edeka, Amazon oder in Ostalgie-Läden vertrieben. Denn die vielen Vorteile dieser über 80 Jahre alten Erfindung beim Backen und Kochen überzeugen die Menschen bis in unsere Zeit. Die Lebensmitteltechnologen bei Crespel & Deiters von 1928 hätte das sicher gefreut.